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Durch den Hexi-Korridor (April / Mai 2007)

Nach 3000 sehr anstrengenden Kilometern lassen wir das tibetische Plateau hinter uns und erreichen die Oasenstadt Dunhuang am Rande der Taklamakan Wüste, wo sich im Juni 2002 der östlichste (Wende-) Punkt unserer ersten Reise über die Seidenstraße befand. Dunhuang war zur Blütezeit der Seidenstraße (7.–9. und 13. Jhdt.) eine wichtige Handelsstadt, denn hier trafen sich Kaufleute, Pilger, Diplomaten, Mönche und Wissenschaftler vor oder nach ihrem Weg durch die berüchtigte, westlich gelegene Taklamakan Wüste. Am Jadetor, dem Eingang zur nördlichen Seidenstraße und am Yangguan, dem Tor zur südlichen Karawanenroute konnte man einst die notwendigen Passierscheine für die Weiterreise erwerben. Aus chinesischer Sicht endete hier die zivilisierte Welt.
Am Yangguan ist vor kurzem der historische Kontrollpunkt mit Festung und Armeelager rekonstruiert worden, was uns sehr eindrucksvoll das Flair der damaligen Zeit nacherleben lässt. Dieses Gebiet ist auch der Endpunkt der großen Chinesischen Mauer, die seit 770 v Chr. zum Schutz vor Angriffen der Nomaden aus dem Norden angelegt wurde und deren Überreste sich nach einer Gesamtlänge von über 10.000 Kilometern (!) hier in der Sandwüste verlaufen. An dieser Stelle schlagen wir unser erstes „Wüstencamp“ auf, bevor es 1300 Kilometer durch den sogenannten Hexi -Korridor weiter in Richtung Osten nach Xi’an, dem Ausgangspunkt der Seidenstraße geht. Der Hexi-Korridor war einst das Nadelöhr zwischen dem alten China und Zentralasien - im Süden von den schneebedeckten Bergen des Qilian Shan und im Norden durch das Mazong-Massiv, den Heli- und Lanzhou-Bergen begrenzt.

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Bild: Passierschein Bild: Passierstelle Yangguan
Bild: Wüstencamp Bild: Chinesisches Mauer Richtung Peking


Inzwischen sind die alten Karawanenrouten durch einen gut ausgebauten Express Highway ersetzt worden, der uns das Reisen sehr vereinfacht. Das alte System von Passierscheinen und Wegezöllen entlang der Seidenstraße ist allerdings von den Chinesen der Neuzeit mit einem sehr engmaschigen Netz von Mautstellen perfektioniert worden. Die Straßengebühren sind für einen PKW gerade noch erträglich (für 300 km muss man mit etwa 150 – 200 Yuan rechnen, was 15-20 € entspricht) - bei LKWs vervierfacht sich der Preis dann schon und Motorräder dürfen den Express Highway in China gar nicht benutzen. An einer Stelle führt der neue Highway sogar unter der Chinesischen Mauer durch, um dieses historische Monument nicht zu beschädigen..

Bild: Moderne Wegelagerer Bild: Neue Karawanenwege

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Zölle auf Handelswaren und die Ausstellung von Passierscheinen waren für die damaligen Städte entlang der Seidenstraße eine wichtige Einnahmequelle, die erst mit der Entdeckung des wesentlich sichereren Seeweges von China in Richtung Europa durch Vasco da Gama (1498) versiegte. Zu einer Wiederbelebung der alten Handelsrouten kam es seit den letzten Jahrzehnten mit dem Ausbau des Schienen- und Straßennetzes, der Ansiedlung von wichtigen Industrieunternehmen und dem Aufbau von modernen chinesische Metropolen - gewissermaßen aus der Retorte.

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Bild: Moderne Karawanenstadt Bild: Markt

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Geblieben sind die Zeugnisse aus der Blütezeit der alten Seidenstraße. Unzählige Wachtürme entlang der großen Mauer säumen unseren Weg. Mit Rauch- und Feuersignalen wurden einst wichtige Nachrichten (z. B. über Angriffe aus dem Norden) von Turm zu Turm innerhalb eines Tages bis nach Peking übertragen. In Jiayuguan endete während der Ming-Dynastie (1368-1644) die große Mauer, die hier auf über 1700 Metern ihren höchsten Punkt erreicht und von wo wir einen ersten beeindruckenden Blick in die unendlichen Weiten der Gobi Wüste haben. Die Festung in Jiayuguan war lange Zeit die offizielle Grenze sowie Kontrollstelle für Reisende zwischen dem chinesischen Reich und den sogenannten barbarischen Steppen des Westens. Hier warteten die Händler und Reisenden oft mehrere Monate auf eine Genehmigung zur Weiterreise in das Reich der Mitte. Eine erstaunliche Parallele zu unserer Wartezeit von drei Monaten, bis wir alle Genehmigungen für die Reise durch das „neue“ China erhielten.

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Bild: Festungsanlage Bild: Wachturm
Bild: Hängende Mauer

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Die alten Karawanenstädte waren auch Zentren von buddhistischen Mönchen, die hier ihre Felsgrotten mit schönen Statuen und Wandmalereien ausschmückten. Dabei handelte es sich sehr oft auch um Auftragsarbeiten von Händlern, die sich mit ihren Spenden göttlichen Beistand für die gefährliche Reise über die Seidenstraße erhofften.
Die berühmten Grotten von Binglingsi sind heute nur mit einem Boot zu erreichen, da die ehemalige Seidenstraße auf dem Grund eines neuen Stausee verläuft. Wir nehmen die sehr feuchte und holperige Motorbootsfahrt bei Windstärke 7 in Kauf, um diesen bedeutenden Ort zu erreichen.

Bild: Maitreya-Buddha bei Binglingsi Bild: Pferdehufgrotten bei Zhangye

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Wie schnell man in China als westlicher Reisender in die Fänge der Sicherheitsorgane kommen kann, erleben wir in Jiuquan. Entsprechend unserem detaillierten Reiseplan und einer Empfehlung aus einem deutschen Kunstreiseführer wollen wir die dortigen buddhistischen Felshöhlen besichtigen. Wir ahnen noch nichts von unserem Pech, als man uns am Eingang zwei chinesische Soldaten aus der nahen Kaserne zur Seite stellt. Schließlich hat man uns ja die Eintrittskarten verkauft. Nach ungefähr einer halben Stunde fährt plötzlich wie in einem schlechten Krimi ein Kleinbus mit sehr böse dreinschauenden Gestalten in dunklen Anzügen und Sonnenbrille vor, die uns ohne viele Worte festnehmen und unsere Pässe sowie die Lizenz unserer Begleiterin kassieren. Erst nach fünf Stunden, getrennten Verhören an verschiedenen Orten sowie einer detaillierten Untersuchung unseres Laptops und der Kameras, dürfen wir weiterziehen. Den Nötigungen, ein schriftliches Schuldanerkenntnis zu unterschreiben, können wir uns erfolgreich in einer sehr nervenaufreibenden Diskussion widersetzen. Was war passiert ? Die Chinesen haben das gesamte Gebiet inzwischen zu einem militärischen Sperrgebiet erklärt ohne entsprechende Hinweisschilder oder Absperrungen anzubringen. Leider schlummern unter der „dünnen Decke“ des weltoffenen Chinas noch an vielen Stellen die alten Apparatschiks, die uns Ausländern bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit die allumfassende Staatsmacht vorführen wollen.

Endlich erreichen wir die ehemalige Kaiserstadt Chang’an (heute Xi’an), dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt des alten Chinas. Das Tang-zeitliche (618-907) Chang’an hatte zwei Millionen Einwohner und war damals die größte Stadt der Welt. Man zeigte sich weltoffen und tolerant gegenüber fremden Einflüssen. So gab es damals ein Nebeneinander von christlichen Kirchen, Moscheen und buddhistische Tempeln. Die 1974 entdeckte berühmte Terrakotta-Armee als Grabwache des ersten Kaisers spiegelt nur einen winzig kleinen Teil der damaligen Hochkultur wider. Die riesige, ungeöffnete Grabpyramide (deren Dimension den Pyramiden in Ägypten in nichts nachsteht) verbirgt noch immer ihre Geheimnisse.
Hier in Xi’an nahm die Seidenstraße ihren Anfang. Ein Denkmal weist auf Zhang Qian und seine Karawane hin, als dieser 139 v. Chr. vom damaligen Kaiser losgeschickt wurde, um die Regionen im fernen Westen zu erkunden. Seine Mission war nicht nur von militärischem Erfolg gekrönt, denn er brachte neben umfangreichen Berichten über Geographie, Politik und Kultur auch Nachrichten bezüglich des Bedarfes an chinesischen Waren mit. Damit stieß er das Tor zum Seidenstraßenhandel weit auf, denn von nun an konnte das große Handelspotential mit Persien, Arabien und Rom intensiv genutzt werden. Viele Kaufleute, Diplomaten, Mönche, Künstler und Reisende folgten Zhang Qian in den nächsten fast 2000 Jahren auf diesen ersten „transkontinentalen“ Handelsweg.
Für uns ist es ein ganz bewegender Moment, an diesem Denkmal zu verweilen, denn wir haben mit diesem letzten Abschnitt durch den Hexi-Korridor die wichtigsten Karawanenwege der Seidenstraße von China, Zentralasien bis nach Europa bereist. Ganz intensiv spürten wir die Faszination, die noch heute von dieser alten Handelroute ausgeht und wie sie sich heute unter chinesischem Einfluss wieder neu etablieren. Mit Bildern, Erlebnissen und vielen Erinnerungen können wir die für uns einst weißen Flecken auf der Landkarte „Seidenstraße“ verbinden. Es war nicht immer einfach, diesen Weg zu gehen. Umso mehr erfüllt es uns mit ein wenig Stolz, das sich unsere Idee, unsere Neugierde, ja unser Traum zu einem so unvergesslichen Abschnitt unseres Lebens entwickelt hat.

 

Bild: Silk Road Monument Bild: Terrakotta-Armee
Bild: Silk Road komplett

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Viele alltägliche Dinge, die wir von zuhause kennen, haben ihren Weg über die Seidenstraße nach Europa gefunden. Neben der Herstellung von Papier, Schießpulver, dem Buchdruck und nicht zuletzt der Seide, fand auch das Rezept der Spaghetti-Herstellung den Weg von China nach Europa.


Film: Ur-Spaghetti

Nach 6500 Kilometern von der nepalisch / chinesischen bis zur chinesisch / mongolischen Grenze haben dabei fünf ganz unterschiedliche Provinzen durchquert. Das Hochland in Tibet und Qinghai mit Pässen von über 5000 Metern sowie Wüsten und fruchtbare Kulturlandschaften.
Auch nach unserer zweiten Reise durch China bleibt das Land und seine Bevölkerung für uns an vielen Stellen unverständlich, wenn nicht sogar verschlossen. Das geplante Reisen unter permanenter Aufsicht fördert nicht gerade den Kontakt mit der lokalen Bevölkerung und als Überlandreisende, wie wir es sind, entspricht man nun mal ganz und gar nicht dem chinesischen Klischee von einem „guten“ Touristen. Daran hat sich auch in den letzten fünf Jahren seit unserer ersten Reise nichts geändert. Wenn man sich von all dem nicht verschrecken lässt, ist China ein sehr interessantes Reiseland, wo es sehr viel zu entdecken gibt.
Überall wird in China für die olympischen Spiele 2008 in Peking geworben. Neben den wirtschaftlichen und politischen Erwartungen hat man den Chinesen diese Spiele in der Hoffnung anvertraut, dass es zu einer Öffnung des Landes kommen wird. Im praktische Reisealltag hätten wir sehr gerne schon etwas von diesem olympischen Geist gespürt. Es wäre sehr schade, wenn China seine Chancen diesbezüglich vergibt und die olympischen Spiele nur zur staatlichen Machtinszenierung nutzen würde.


Bild: Olympia 2008

Für uns war es sehr spannend, die Dimension der wirtschaftliche Dynamik in China zu spüren. Es scheint, dass bei uns zuhause noch eine völlig veraltete und verklärte Vorstellung über China in den Köpfen verankert ist. Die „neue Seidenstraße“ wird sich rasant als neues Geflecht von wirtschaftlichen und politischen Beziehungen nach Zentralasien, Pakistan und Indien von China aus herausbilden. Man kann nur hoffen, dass Europa nicht als unbedeutender Nebenweg dieser „neuen Seidenstraße“ enden wird.

Unser Rückweg nach Deutschland führt uns durch die Mongolei, unter deren Einfluss die Seidenstraße im 13. Jhdt. eine besondere Blütezeit erlebte, ohne dass der ehemalige Handelsweg durch das Gebiet der heutigen Mongolei verlief.


Bild: Tor zur Seidenstraße

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