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Im Norden Pakistans (Oktober 2006)

Bei der ursprünglichen Reiseplanung sollte Pakistan für uns in erster Linie ein Durchreiseland nach Indien sein. Dass wir nun im Norden Pakistans fast sechs Wochen verbracht haben, ja regelrecht hängen geblieben sind, hatte seine Gründe. Die Mischung aus Kultur, Geschichte, unberührter Natur und den herzlichen Menschen waren es, die uns hier in ihren Bann gezogen haben.
Allein schon die Tatsache, dass in Nordpakistan die Bergketten des Hindukusch, Karakorum und Himalaya aufeinandertreffen, haben uns neugierig gemacht. Die Spuren der Geschichte, wie z. B. das „Great Game“ zwischen Russland und England um die Vormachtstellung in Zentralasien aber auch die Routen der Seidenstraße, auf denen einst Karawanen über die hohen Pässe gezogen sind, wollen wir erkunden.

Bild: Eisriesen Bild: Alte Seidenstraße

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Anreise über den Khyber-Pass

Von Afghanistan aus reisen wir über den sehr geschichtsträchtigen Khyber-Pass nach Pakistan ein. Dieser Pass war zu Zeiten der alten Seidenstraße eine wichtige Verbindung von Afghanistan nach Indien und China. Die Engländer haben 1925, als sie noch Kolonialmacht auf dem indischen Subkontinent waren, nicht nur eine atemberaubende Straße, sondern auch eine Eisenbahnstrecke mit etlichen Tunneln über diesen Pass gebaut. Auch heute ist diese mit 1066 Höhenmetern vergleichsweise niedrige Passstraße eine wichtige Verbindungsroute durch die quasi autonomen Stammesgebiete der Paschtunen zwischen Afghanistan und Pakistan. Eine unerfreuliche Hinterlassenschaft der Engländer ist die willkürlich gezogene Grenze zwischen Afghanistan und dem heutigen Pakistan (Durand Linie) mitten durch die Stammesgebiete der Paschtunen. Mit dieser Maßnahme wurden politische Probleme vorprogrammiert, die heute noch die Tagespolitik bestimmen.
Nach einer problemlosen Fahrt von Kabul über Jalalabad erreichen wir die afghanisch-pakistanische Grenze, wo wir in einer Rekordzeit von 75 Minuten alle Grenzformalitäten erledigt haben. Anschließend wird uns erst einmal ein Soldat mit Maschinengewehr als Begleitung und zu unserem Schutz in den grenznahen pakistanischen Stammesgebieten ins Auto gesetzt. Außerdem achtet unser Begleiter darauf, dass wir keine militärischen Bereiche fotografieren, was leider die Motivwahl extrem einschränkt.


Bild: Khyberpass

Wo Buddha griechische Züge annahm

In Peschawar erkrankt Andreas mit sehr hohem Fieber, so dass wir erst nach fünf Tagen zu unserer Tour nach Nordpakistan starten können. In der Peschawar-Ebene stolpert man geradezu über die vielen Ruinen und Ausgrabungsstätten der Gandhara-Kultur (ca. 6. Jht. v. Chr. bis 455 n. Chr.). Das Reich Gandhara mit der ehemaligen Hauptstadt Taxila wurde durch den Einfluss griechisch-römischer, indischer und buddhistischer Kultur und Kunst geprägt. Der Buddhismus konnte sich von hier über die Karawanenwege der Seidenstraße bis nach Zentral- und Ostasien sowie China ausdehnen. Dabei wurde Buddha erstmals als menschliche Figur mit griechischen Gesichtszügen abgebildet. Der griechische Einfluss in dieser Region kam nicht von ungefähr, denn Alexander der Große hatte diese Region im 4. Jht. v. Chr. erobert und Gandhara stand dann fast 200 Jahre unter griechisch-baktrischer Herrschaft.


Bild: Buddhastatue

Kalasha – Minderheiten in vergessenen Tälern

Wir verlassen die Peschawar-Ebene Richtung Norden nach Chitral und freuen uns erst einmal über die vielen grünen Täler, die hier regelmäßig vom Monsunregen erreicht werden. Endlich ist es nicht mehr so staubig und trocken wie in Afghanistan. Da wir uns noch immer im grenznahen Gebiet zu Afghanistan / Nuristan befinden, bekommen wir auch hier einen kostenlosen Begleitschutz. Diesmal fährt allerdings eine Polizeiauto mit Blaulicht vor uns her, was uns auf den engen Bergstraßen und Ortsdurchfahrten viel Zeit erspart. Die sonst so rücksichtslosen LKWs und Sammeltaxis haben plötzlich in unserer Nähe einen sehr defensiven Fahrstil.
Um die Region Chitral zu erreichen, muss man über den über 3000 Meter hohen Lawari-Pass fahren. Wir staunen immer wieder, dass vollgeladene LKWs, kleine PKWs und Minibusse diesen ungeteerten mit tiefen Spurrinnen übersäten Weg ohne größeren Schaden bewältigen. Um die Versorgung der abgelegenen Chitral Region auch im Winter sicherzustellen, wird gerade an einem Tunnelprojekt unter dem Pass gearbeitet. Visionäre träumen schon von einem Tunnel unter dem Wakhan-Korridor mit einer ganzjährig befahrbaren Handelsroute bis nach Tadschikistan und China. Zug um Zug und im Stillen gewinnt China durch diese Handelsrouten wieder wirtschaftlichen und strategischen Einfluss in dieser Region.


Bild: Lawari-Pass

In Chitral legen wir eine kleine Pause ein, lassen uns bei der Polizei registrieren – eine Sicherheitsmaßnahme für alle Ausländer, nutzen das Internet-Cafe und füllen unsere Vorräte auf dem Bazar auf, bevor es in die nahe gelegenen Täler zum geheimnisvollen Kalashavolk weiter geht.

Bild: Chitral Moschee Bild: Chitral Basar

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Bei den Kalasha handelt es sich um eine Minderheit, die sich durch ihre Tradition, Religion und ihr Aussehen sehr von den umliegenden Volksgruppen unterscheidet. Der Grund dafür ist, dass diese Menschen lange Zeit in schwer zugänglichen Tälern lebten und somit abgeschnitten von jeglichem Einfluss der Außenwelt waren. Ihr Aussehen ist sehr europäisch und so sagen Wissenschaftler, dass diese Menschen evtl. Nachkommen der Armee von Alexander dem Großen sind. Kalsha sind (mit Ausnahme der Zwangskonvertierten) keine Moslems und glauben an Götter, die der griechischen Mythologie sehr ähnlich sind. Vor allem die Frauen unterscheiden sich durch ihre nicht verschleierte bunte Kleidung sehr von den pakistanischen Frauen. Mit Freude hören wir, das die islamische Republik Pakistan sehr viel unternimmt, um diese Kultur zu schützen und auf Staatskosten auch die Kultstätten restauriert. Die griechische Regierung fühlt sich ebenfalls den Kalasha verpflichtet und hat diverse Hilfsprojekte organisiert.

 
Bild: Kalasha-Dorf
Bild: Kalasha-Frau 1 Bild: Kalasha-Frau 2
Bild: Kalasha-Kind

 

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Als Nichtmoslems stellen die Kalasha auch Wein und Obstschnäpse für ihre religiösen Feste her. Nach unserer monatelangen „Durststrecke“ lassen wir uns natürlich eine Weinprobe nicht entgehen und kaufen auch sogleich einige Liter des edlen Tropfens, der „stilvoll“ in alten Wasserplastikflaschen überreicht wird.

Von Chitral nach Gilgit

Immer wieder werden wir in Nordpakistan mit den Spuren aus dem Kampf um die Vormachtstellung zwischen Russland und England konfrontiert. Forts und Burgen, die von den Engländern vor über hundert Jahren gebaut wurden, dienten der Verteidigung und als Ausgangpunkt für verschiedene Expeditionen und Spionageaktivitäten in Richtung China (damals Ostturkestan) und dem übrigen Zentralasien. Nebenbei mussten sich die Engländer noch gegen die Stammeskrieger aus den damals selbständigen Königreichen behaupten, was ihnen mehrmals schwere Verluste zugefügt hat. Bis heute hat sich einiges aus der englischen Tradition erhalten, wie z. B. das Polo-Spiel. Neben unserer Route auf dem 4260 Meter hohen Shandur-Pass befindet sich das höchste Polospielfeld der Welt, wo jährlich das „Game of the Kings“ zwischen der Region Gilgit und Chitral stattfindet.

Bild: Baltit-Fort Bild: Polospiel

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In Gilgit angekommen, werden wir als Seidenstraßenreisende von den Organisatoren des gerade angelaufenen Silkroad Festivals „nahtlos in das Programm eingebaut“. Wir sitzen auf der Ehrentribüne neben dem Gouverneur und Ute ist unter fast 3000 Männern die einzige Frau. Das pakistanische Fernsehen produziert eine Dokumentation über die Seidenstraße und heftet sich für einige Tage an unsere Fersen. Interviews und diverse Filmsequenzen werden mit uns gedreht. Etwas „überdreht“ wirkt das Ganze, als der Fernsehproduzent Andreas zum „Marco Polo des 21 Jahrhunderts“ avancieren lässt.


Bild: TV-Aufnahmen

Der Karakorum-Highway (KKH)

Der 1284 km lange Karakorum-Highway von Kashgar (China) bis nach Islamabad (Pakistan) zählt für uns zu den atemberaubendsten Fernstraßen der Erde. Dabei haben wir den KKH allerdings nur auf der pakistanischen Seite kennen gelernt, was immer noch anstrengende 850 km holprige Passstrasse in sich birgt.

Bild: KKH 1 Bild: KKH 2
Bild: KKH 3 Bild: KKH 4

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Erbaut wurde der KKH von 1967 bis 1982 als chinesisch-pakistanisches Gemeinschaftsprojekt. Unglaubliche Zahlen sind auf den vielen Gedenktafeln entlang des Highways zu lesen. So haben 15.000 pakistanische Soldaten und 20.000 chinesische Arbeiter an dieser Straße gebaut und 500 Männer ließen bei den Bauarbeiten ihr Leben. Der höchste Pass des KKH liegt auf 4730 Metern, der Khunjerab-Pass, der auch gleichzeitig die Grenze zwischen China und Pakistan ist. Und wie damals Karawanen über die alte Seidenstraße zogen, so ziehen heute moderne chinesische LKWs wieder mit Waren von Ost nach West. Über die neue Seidestraße – den KKH.


Bild: Neue Seidenstraße

Relikte des historischen Handelsweges, der über schmale Pfade verlief, findet man an vielen Stellen. Für uns sind die Felszeichnungen bei Shantial besonders interessant, da hier gut erhaltene Schriftzüge zu sehen sind, wo sich Handelsreisende und Karawanenführer durch verschiedensprachige Inschriften aus dem 3. – 7 Jht. n. Chr. verewigt haben. So zu sagen ein antikes Gästebuch der Seidenstraße.


Bild: Gästebuch

Hunderte von pakistanischen Soldaten sind dazu abkommandiert den Highway instand zu halten, vom Steinschlag zu befreien sowie Auswaschungen und Schlaglöcher auszubessern. Und vielleicht wird diese Straße ja in einigen Jahren genauso gut wie auf der chinesischen Seite aussehen, denn chinesische Vermessungsingenieure haben bereits mit der Arbeit für den Neubau begonnen.


Bild: Straße weg

Nanga Parbat- Schicksalsberg der Deutschen

Schon am KKH weist ein Schild auf den 8125 Meter hohen Nanga Parbat hin. Zwar nicht so hoch wie der Mount Everest (8848 Meter), ist dieser sogenannte Killerberg aber alpinistisch mehr als eine vergleichbare Herausforderung, der schon einigen Bergsteigern (und besonders vielen Deutschen) das Leben gekostet hat. Prominentestes Opfer war der Bruder von Reinhold Messner, Günther Messner, der beim Abstieg in einer Eislawine ums Lebens kam. Um möglichst nahe an den Nanga Parbat heranzukommen, nehmen wir einen Umweg von 370 km in Kauf und fahren am Indus entlang bis nach Skardu, durch den Deosai Nationalpark weiter bis nach Tarashing, von wo wir nach einem längeren Fußmarsch das Basecamp des Nanga Parbat erreichen. Zuvor haben wir versucht, den 15 Kilometer langen Jeeptreck zur Märchenwiese zu befahren; alles sehr steil und gefährlich (!), was uns zum Umkehren gezwungen hat. Unser 3,7 Tonnen schweres Auto kann sich leider nicht mit den viel leichteren und kürzeren lokalen Jeep-Taxis messen.

Bild: Killermountain Bild: Nanga Parbat

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Dass Nordpakistan ein Paradies für Bergsteiger und Wanderer ist, haben wir nicht nur in der Region des Nanga Parbat erlebt. So sind wir oft länger an Orten geblieben, um Gletscherwanderungen und Trekkingtouren zu unternehmen. Diese Zeit wird uns sicher noch lange in Erinnerung bleiben.


Bild: Passu Gletscher

Abenteuer Brücken

Abseits des KKH sind die Flussüberquerungen immer wieder ein Abenteuer. Brücken können meist nur von einem Fahrzeug zur gleichen Zeit befahren werden und Hängebrücken schwingen schon beim normalen Betreten, dass einem schwindelig wird. Eine Höhenbegrenzung von guten 2,5 Metern an der Brücke zwischen Chitral und Gilgit hat uns fast zum Umkehren gezwungen. Ein Schild, das auf das zulässige Höchstgewicht für Fahrzeuge hinweist gibt es nicht. Und so haben wir uns das eine oder andere Mal dann doch lieber für eine (manchmal sehr abenteuerliche) Flussdurchfahrt entschieden.

Bild: Sichere Brücke ? Bild: Hängebrücke


Bild: So geht es auch

Panne im Erdbebengebiet

Der letzte Teil des KKH führt mitten durch das Erdbebengebiet, bei dem im Oktober 2005 über 80.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Damals war der KKH an ca. 100 Stellen unterbrochen, was eine Hilfe auf dem Landweg nahezu unmöglich machte. Seitdem laufen die Bergungs- und Aufbauarbeiten von der Armee und verschiedenen Hilfsorganisationen auf Hochtouren. Auch die Kinderhilfe Afghanistan hat hier viele wertvolle Hilfsprojekte durchgeführt, die auch mit unseren Spendenaufrufen finanziell unterstützt wurden. Ein Jahr nach dem schrecklichen Unglück leben immer noch 1,8 Millionen Menschen in provisorischen Behausungen und es bleibt noch sehr viel zu tun.


Bild: Zeltstadt

Genau vor einem Hilfscamp der pakistanischen Armee bricht ein Lager am vorderen Fahrwerk weg. Kein Wunder, denn unser Auto hat über die letzten zweitausend Kilometer mal wieder Höchstleistungen vollbracht. Die Gummipuffer der Stoßdämpfer sind durchgeschlagen, das Aludach ist mal wieder gebrochen und der Riss im Blech des Scheibenrahmens ist auch etwas länger geworden. Die pakistanische Armee nimmt uns sehr herzlich in ihrem Camp auf und hilft uns bei der Notreparatur am nächsten Morgen. Die Nacht verbringen wir in einem Katastrophenzelt chinesischer Herkunft, was uns zumindest ansatzweise das Gefühl von Katastrophenopfern nachempfinden lässt. Am Abend führen wir sehr interessante Gespräche mit den Offizieren über Weltpolitik, Religion, das pakistanisch-afghanische Verhältnis und den Indien / Kaschmir-Konflikt. Wieder einmal taucht das uns bestens bekannte Argument über die unrühmliche Rolle unserer westlichen Massenmedien in diesen Krisenregionen auf. Die Offiziere verfolgen die CNN- und BBC - Berichterstattung sehr genau. In der Ecke des Zeltes steht schließlich ein TV Empfänger mit Satellitenempfang.


Bild: Militärcamp

Ende gut alles gut

Mit einem notdürftig geflickten Stabilisator kommen wir in Islamabad an. Islamabad ist eine sehr moderne Stadt, deren Straßen alle schachbrettartig angeordnet und durchnummeriert sind. Hier entdecken wir dann auch die unfreundlichste Toyotawerkstatt, die wir je kennen gelernt haben. Man will uns nicht wirklich helfen. So bleibt uns nur eine kleine Werkstatt im Autobasar, wo man uns die defekten Teile aus Teflon nachbaut.
Wir nutzen die Zeit in Islamabad, um uns wieder zu ordnen, bevor es in den nächsten Tagen weiter in Richtung Indien geht. Eile ist geboten, da spätestens in zwei Wochen die ersten Pässe in Nordindien wegen Schneefall geschlossen werden.


Bild: Die Karawane zieht weiter

 

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